Euro: Merkel & Co. verlieren die Kontrolle
Gerhard Wisnewski
Wenn die Griechen erst ein neues Reformpaket vorlegen, dann wird alles gut, haben unsere Politiker bisher suggeriert: Dann kann man dem schlechten Geld auch wieder gutes hinterher werfen und weitere Milliarden fließen lassen. Dabei ist das natürlich Blödsinn. Denn jedes von den Griechen vorgelegte Reformpaket ist ja nur ein Plan. Ob, wann und wie erfolgreich Athen ihn umsetzt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Inzwischen drehen sich die Machtverhältnisse immer mehr um: Schon bald wird die Euro-Zone Griechenland das Geld bedingungslos hinterher werfen. Merkel & Co. verlieren die Kontrolle…
Wolfgang Schäuble ist ja ein ganz Tougher: »Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält eine weitere Finanzhilfe der Euro-Zone für Griechenland nur im Rahmen eines neuen Programms mit Spar- und Reformvereinbarungen für möglich«, berichtete die Website der Augsburger Allgemeinen am 7. Juli 2015: »›Ohne ein Programm gibt es keine Möglichkeiten, im Namen der Euro-Zone Griechenland zu helfen‹, sagte Schäuble unmittelbar vor einem Treffen der Euro-Finanzminister am Dienstag in Brüssel.« Und die Bundeskanzlerin erst: »Reformen seien die Voraussetzung für einen erfolgreichen Abschluss des zweiten Hilfsprogramms und für europäische Hilfe« (N24, online, 18.06.2015).
Was den Eindruck erweckt, dass es Geld nur gegen Reformen gibt. Und schon nickt das Publikum zufrieden: Jawoll, erst wenn die Griechen Reformen durchführen, gibt es frisches Cash. Nur sollte man Reformprogramme oder -pläne nicht mit den Reformen selbst verwechseln.
Die vielbeschworene »Konditionalität« (also die Bindung von neuen Krediten an Reformen) gibt es in Wirklichkeit überhaupt nicht. Denn das Geld fließt ja bereits, wenn die Griechen nur Reformvorschläge oder absichtserklärungen vorlegen.
Das geht auch gar nicht anders, denn warten, bis die jeweiligen Reformen greifen, kann man ja nicht. Dann wären die Griechen in jedem Fall pleite.
Teufelskreis Euro-Rettung
Alles in allem gibt es also gleich zwei Unsicherheiten:
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Ob die Griechen die Reformen umsetzen
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Ob die Reformen greifen
Das ist in ungefähr so, als würde eine Bank einen Kredit für ein bloßes Geschäftsmodell vergeben. Ob es funktioniert, weiß man erst nach Jahren. Wenn die Kanzlerin also sagt, Reformen seien die Voraussetzung für ein zweites Hilfsprogramm und für europäische Hilfe, ist das Rosstäuscherei.
Denn rein logisch ist das ausgeschlossen: Reformen können gar nicht die Voraussetzung für die finanzielle Hilfe sein, weil sie erst danach umgesetzt werden können. Ganz richtig hat Spiegel Online hier einen Teufelskreis erkannt:
»Diesen Teufelskreis – ohne Finanzierung kein Programm, ohne Programm keine Finanzierung – zu durchbrechen ist die erste Aufgabe der Euro-Zone.«
Pläne sind Schall und Rauch
Und zwar eine unlösbare Aufgabe. Das Geld muss ja auf jeden Fall vor den Reformen fließen, sonst können die Griechen diese gar nicht mehr durchführen.
Trotzdem werden Reformvorschläge in Berlin dauernd mit Reformen gleichgesetzt und wird so getan, als seien die richtigen Reformvorschläge schon die Lösung: Bis Donnerstag müsse die griechische Regierung nun »detaillierte Reformvorschläge einreichen, ähnlich den Dokumenten, über die bis Ende Juni verhandelt wurde«, heißt es bei Spiegel Online (08.07.2015): »Allerdings, das hat unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel klargestellt: Die Anforderungen sind jetzt deutlich höher.«
Anforderungen an Pläne und Vorschläge, versteht sich – nur sind diese bekanntlich Schall und Rauch. Nach allem, was man über Griechenland weiß, ist es so gut wie ausgeschlossen, dass aus solchen »tragfähigen Vorschlägen« irgendwann wirksame Maßnahmen werden.
Was nicht (nur) an den Griechen oder deren Mentalität liegt, sondern daran, dass man dem Volk eben nicht noch mehr abpressen kann. Griechenland ist nun mal am Anschlag; es ist einfach nichts mehr da. Und an die vielbeschworenen »reichen Steuerhinterzieher« kommt man offenbar nicht ran.
Gemeinsam in den Untergang
Inzwischen drehen sich die Machtverhältnisse zwischen der Euro-Zone und Griechenland daher immer mehr um, wie auch schon in diesem Artikel dargestellt. Denn wenn man ein paar Tausend Euro Schulden hat, hat man zwar ein Problem – aber wenn man ein paar Millionen oder Milliarden Schulden hat, hat die Bank das Problem. Und die Bank, das sind in diesem Fall die »Institutionen« aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF. Während Schäuble, Merkel und die anderen EU-Politiker dauernd Kontrolle suggerieren, haben sie genau diese nicht.
Nicht nur, dass sie immer neue Hilfsprogramme und Kredite für bloße Pläne auflegen müssen – inzwischen sollen die Griechen die Reformen auch noch »weitgehend selbst bestimmen dürfen«, so die Bild–Website vom 8. Juli 2015.
»Er kann nicht bestellen, er muss liefern!«, heult das Blatt in Bezug auf den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras:
»Doch er steht am Euro-Tresen und bestellt:
- ausgewogene, tragfähige Konzepte
- gerechte Lastenverteilung
- weniger rezessive Vorgaben«
Und dann bestelle er noch einen dicken Präsentkorb: »Wir bitten um die Abdeckung des Finanzbedarfs unseres Landes und ein zukunftsorientiertes Wachstumsprogramm.«
Während Merkel und Co. also nunmehr vollständig die Kontrolle verlieren, geht diese immer mehr an Griechenland über. Das heißt: Die Griechen können demnächst irgendeinen leeren Zettel nach Brüssel schicken und werden dafür Geld bekommen – de facto also bedingungslos. Das liegt in der Logik dieser Schuldenkrise.
Der Schwanz wackelt mit dem Hund. Oder aber man lässt das Euro-Projekt scheitern – mit allen Konsequenzen auch für die politische Nomenklatura. Und deshalb arbeiten Merkel, Schäuble&Co. auch nicht in erster Linie an der Euro- oder Griechenrettung, sondern vor allem an der eigenen…
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