Richard David Precht – Tiere denken
Richard David PrechtRichard David Precht ist einer der bekanntesten Philosophen Deutschlands. Der Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik wurde durch seine populärwissenschaftliche Bücher bekannt. Sein erfolgreichstes Buch »Wer bin ich und wenn ja, wie viele?« belegte lange Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste und wurde in 32 Sprachen übersetzt. Richard David Precht setzt sich in seinen Büchern mit aktuellen philosophischen Fragen auseinander und macht diese Themen, mit seinem unkonventionellen Stil und einer lebhaften und einfachen Sprache, für eine breite Öffentlichkeit zugänglich.
Nun veröffentlichte Precht ein neues Buch, in dem er sich mit Fragen des Mensch-Tier-Verhältnisses und der gesellschaftlichen Debatte um Tierrechte beschäftigt. »Tiere denken« ist eine überarbeitete Neuauflage seines 1997 erscheinenden Buches »Noahs Erbe« und zeichnet ein Bild der aktuellen Kontroverse um den Umgang mit sogenannten »Nutztieren«.
Richard David Precht, der selbst kein konsequenter Vegetarier ist, stellt in seinem Buch tierethisch relevante Fragen, analysiert die verschiedenen Tierrechtstheorien und versucht einen eigenen praktikablen moralischen Ansatz zu finden. Obwohl kein Verfechter einer radikalen Tierethik zugunsten der Tiere, befeuert sein Buch aufs Neue die in unserer heutigen Zeit immer wichtigere Frage nach der Behandlung unserer Mitlebewesen und bringt das Thema in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit. Schon deshalb hat das Buch höchste gesellschaftliche Relevanz.
Interviwew mit Richard David Precht
Fernab von TV-Auftritten und Talk-Runden wollten wir wissen, was Richard David Precht wirklich zum Thema vegan denkt und haben ihn auf der Frankfurter Buchmesse interviewt.
Herr Precht, sie kennen das Zitat von Albert Schweitzer. Er hat gesagt: »Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.« Sie haben die Tür geöffnet und ein Buch über Tierrechte geschrieben. Warum?
Das Mensch-Tier-Thema ist, mehr als jedes andere, mein Lebensthema. Die Tierfrage ist für mich elementar und rein wissenschaftlich interessiert mich auch alles, was in der Schnittmenge zwischen Philosophie und Biologie liegt. Auch deswegen habe ich vor 20 Jahren schon mal ein Buch geschrieben namens »Noas Erbe«, welches ich jetzt Revue passieren lasse. Natürlich ist einiges dazugekommen, einiges hat sich auch geändert.
Sie plädieren in ihrem Buch »Tiere denken« für eine praktikable Tierethik, die nicht auf Gerechtigkeit, Freiheit und andere Werte setzt, weil Menschen kaum empfänglich für moralische Werte sind. Die praktikable Ethik fragt sich hingegen, welche Rolle Tiere innerhalb eines »Miteinander-Klarkommens« realistisch spielen können. Welche Rolle würden Sie den Tieren denn in einer praktikablen Tierethik zuschreiben?
Das ist eine gute Frage. Das Grundgefühl, welches mich im Umgang mit Tieren antreibt, ist die Faszination dafür, dass es in einer Welt in der alles nur noch von Menschen gemacht ist, irgendetwas gibt, was nicht vom Menschen gemacht ist und was ich bewundere, für den eigenen Weg in der Evolution. Faszination – das ist meine Haltung, die ich gegenüber Tieren habe. Ich würde mir wünschen, dass die Grundachtung vor dem Tier als anderes Lebewesen tief verankert wäre, was auch immer der Einzelne für praktische Konsequenzen daraus zieht.
Der für mich wichtigste Teil im Buch ist der, in dem ich mich Schritt für Schritt mit den Tierrechtsphilosophien wie der von Peter Singer und Tom Regan auseinandersetze und zu dem Schluss komme, dass deren Sichtweisen nicht stringent sind. Was nicht heißt, dass ich nicht mit vielen in diesen Tierrechtsphilosophien sympathisiere. Für Peter Singer ist zum Beispiel die Leidensfähigkeit entscheidend in der Frage nach einem Lebensrecht für Tiere. Dazu ein Beispiel: Man könnte Hühner gentechnisch so manipulieren, dass sie kein Leiden mehr empfinden. Dann könnte man als Vertreter von Singers Tierethik kein Argument mehr gegen Legebatterien vorbringen. Ich bin aber total sicher, dass Singer auch dann gegen Legebatterien wäre. Das heißt aber, dass so wie seine Ethik aufgebaut ist, sie offensichtlich von ihm gar nicht geführt ist. Das gleiche Argument gilt auch bei Tom Regan. In seiner Tierrechtsphilosophie geht es nicht primär um Leidensfähigkeit, sondern um Bewusstseinsfähigkeit und den inhärenten Wert, den jedes Tier mit Bewusstseinsfähigkeit hat.
»Nach Regans Theorie sind die Interessen aller Lebewesen mit inhärentem Wert prinzipiell gleich zu achten.« Und da bringe ich das Beispiel mit dem Versuchskaninchen, welches in einer philosophischen Überlegung, das gleiche Lebensrecht hat wie Hunderttausende an einer Seuche erkrankter Menschen. Würde Regan selbst Hunderttausende Menschen sterben lassen, weil das Leben eines Kaninchens genauso viel wert ist? Was ich damit nur zeigen wollte, war, dass diese sehr sympathischen Tierrechtstheorien, so wie sie normiert sind, nicht funktionieren. Obwohl ich den Impuls der beiden teile.
Sie sprechen sich in ihrem Buch für eine Ethik des Nichtwissens aus. Können Sie kurz erklären, was sie damit meinen.
Der Mensch glaubt, mit holzhackerischer Sicherheit über alles Mögliche urteilen zu können. Es ist ja für mich schon ausgeschlossen, über ihr Bewusstsein zu urteilen. Ich muss mir aus Indizien heraus ein Bild davon machen. Beim Elefantenrüsselfisch oder beim Kraken ist es nahezu unmöglich. Nachdem wir aus Indizien Bewusstseinsfähigkeit, Leidensfähigkeit und all diese Dinge erkennen können, sollten wir ganz vorsichtig sein darüber zu urteilen, uns überlegen zu fühlen und zu meinen, dass wir alles mit Tieren machen können. Mir geht es um einen Sensibilisierungsprozess, und zwar pädagogisch und strategisch. Das ist der Grund, warum ich jetzt nicht sage: »Leute ihr dürft kein Fleisch mehr essen.« Dafür gibt es genug Bücher, die das machen. Und das ist auch alles korrekt. Aber ich will die Leute da abholen, wo sie stehen und die Klientel erreichen, die ich mit den Hardcore-Argumenten nicht kriege.
Das heißt, wir müssen die Sensibilisierung fördern, sodass sie sich auf die Tiere ausweitet?
Ja. Das hat sie ja schon. Tatsächlich ist ja die Sensibilität gegenüber Tieren viel höher als zu anderen Epochen. Und wenn die Sensibilität immer weiter steigt, wiegt das Verdrängte immer schwerer und dann passiert irgendwann was.
Aber auch sie argumentieren im Buch mit Vernunft. Appellieren sie an die Vernunft oder an die Sensibilität?
An die Sensibilität. Aller ethischer Fortschritt ist keine Vernunftfrage, sondern eine ethische Sensibilisierungsfrage. Ich muss diese Angelegenheit als etwas erkennen, was mich in meinem Inneren betrifft. Das ist auch eine Erziehungs- und eine Umfeldfrage. Wenn heute in einer Schulklasse zwei Veganer sind, dann fängt man an, sich mit der Frage auseinanderzusetzen. Man fängt an über Leute, die man mag, die Frage mit zu sich rüberzuziehen. Das ist der Prozess, wie ethischer Fortschritt entsteht. Er entsteht nicht dadurch, dass ich eine große Rechnung aufmache und ganz genau erkläre, was wir nicht tun dürfen. Je mehr man an die Vernunft appelliert, desto eher wird man als Spinner gesehen.
Gleichzeitig hat der Mensch nur eine gewisse Kapazität für Sensibilisierung. Wenn ich alles Elend dieser Welt zu meiner Angelegenheit mache, kann ich keine Nacht mehr schlafen. Deswegen haben wir auch diesen gesunden Verdränungsmechanismus. Es ist nicht falsch, dass Menschen verdrängen können.
Eine amerikanische Journalistin, die in Schlachthäusern recherchiert hat, hat einmal im Gespräch mit einem Schlachthausmitarbeiter gesagt: »Ich hasse nicht dich, sondern das, was du machst.« Das war ihre Lösung.
Aber noch einmal zurück zur Moral. Sie hatten im Jahr 2012 ein Gespräch mit dem Philosophen Robert Spaemann in einer Sendung im ZDF. Ihm zufolge sei es verwerflich und unmoralisch Tieren leiden zuzufügen, weil es das Tier um das betrügt, was es an Positiven hat. Für ihn war es aber gleichzeitig völlig legitim ein Tier zu töten und zu essen, solange man ihm kein Leid zufügt. Schauen wir uns die Fleischproduktion an; dabei ist es egal ob konventionell, Bio oder vom Bauern um die Ecke; dann müssen wir sagen, dass alle Tiere erheblich in der Fleisch-, Eier- und Milchindustrie leiden. Müsste man dann nicht auch sagen Fleischessen ist unmoralisch?
Ja, Fleischessen ist unmoralisch. Aber ich plakatiere das nicht. Es ist eine strategische Frage. Ich finde die Idee des Meliorismus von Jean-Claude Wolf super. »Melio« heißt besser, also die Ethik nicht in gut und böse zu teilen, sondern in gut, besser und am besten. Laut dessen also gut, wenn man Flexitarier ist, besser Vegetarier und am besten aber Veganer. Fangen wir mit gut an, nicht mit am besten.
Wir sagen immer, jeder Schritt in die richtige Richtung ist unterstützenswert und das Beste ist natürlich, wenn man es schafft, vegan zu werden und dann konsequent ist. Jetzt müssen wir es noch schaffen die wirtschaftlichen Bereiche zu transformieren.
Das klappt ja im Augenblick Schritt für Schritt alles ganz gut, nur dass man an das Massentierhaltungs-Kerngeschäft nicht rankommt. Wir brauchen einen zusätzlichen Markt neben den Bestehenden, der wächst und irgendwann so groß wird, wie der andere. Da kommen wir dann zum Thema Laborfleisch. Das mit dem Laborfleisch hat leider nur einen Haken. Zellteilung ist relativ langsam. Wenn man das beschleunigen könnte, wäre das Hauptproblem gelöst. Die Frage ist also, wie beschleunigen wir diese Zelteilung, sodass das Laborfleisch günstiger wird als das Massentierhaltungsfleisch.
Die Zukunftsversion wäre also, dass durch die Weiterentwicklung dieser in-vitro Technik dieses Fleisch viel wirtschaftlicher und rentabler wird und dadurch die Fleischindustrie abgelöst wird?
Ja, so ist das. Und die Leute, die dahinter stecken, erkennen, dass das wirklich die Lösung eines globalen Menschheitsproblems ist. Wenn 80% des Wassers in den Entwicklungsländern von Tieren weggesoffen werden und 50% der Getreideproduktion an Tiere verfüttert wird und der Regenwald abgeholzt wird für die Felder, ist es nicht möglich die wachsende Menschheit mit Fleisch zu versorgen, ohne den Planeten zu zerstören.
Das heißt doch aber auch, dass eine vegane Welt nicht nur vernünftig, sondern auch absolut realistisch ist.
Ja, ich glaube tatsächlich, dass Fleischessen irgendwann ausstirbt. Nicht ganz so schnell, aber ich würde sagen in der Generation meiner Enkel, also vielleicht in 15 – 20 Jahren, werden die Kinder selbstverständlich damit aufwachsen kein Fleisch zu essen. Die Leute, die das dann noch tun, werden sehr merkwürdig angeguckt werden. Und ich glaube, dass wir in 40 – 50 Jahren noch 3 Schlachthäuser haben als Gedenkstätten. Da gehen dann die Schulklassen durch, um sich zu erinnern was wir früher mit Tieren gemacht haben und werden sich gruseln und fragen »Opa, warum hast du das eigentlich mitgemacht?«
Sollten wir nicht heute schon die Moralvorstellung Tiere nicht mehr zu töten als Maxime für unsere Gesellschaft übernehmen und uns dazu auch öffentlich bekennen?
Das machen Sie ja auch. Da spricht nichts dagegen. Die Frage ist die Mehrheitsbeschaffungsfrage. Wie gewinne ich dafür eine Mehrheit? Auf zwei Arten: das was sie machen aber ich meine auch durch das, was ich mache. Ich darf niemanden ethisch überfordern, wie den notorischen Fleischesser, dem ich sage »du böser Mensch, du darfst das nicht tun«. Ein erwachsener Mensch, der das zwanzig Jahre lang gemacht hat, wird sagen, ihr habt mir nichts zu sagen. Ich versuche ihn da abzuholen, wo er steht, und versuche durch das Buch einen Denkprozess in Gang zu setzen. Das ist sozusagen die strategische Arbeit, die ich mache. Sie machen eine andere Arbeit. Sie bauen sozusagen eine vegane Zukunftskultur auf. Meine Aufgabe liegt eher darin, die Leute zum Nachdenken zu bringen.
Sie kritisieren in ihrem Buch die Zielsetzung von Tierrechtlern, also die Befreiung aller Tiere, und skizzieren als Folge den »Totalverlust des Tieres« in unserer Gesellschaft und damit eine Entfremdung von den Tieren. Wir können uns doch aber trotzdem an Tieren sensibilisieren, wenn wir zum Beispiel in den Wald gehen und freie Tiere beobachten. Es gibt auch Konzepte wie Zoopolis, die das Zusammenleben mit Tieren zum Beispiel in Städten beschreiben.
Da bin ich ja dafür, ich sehe aber trotzdem den Verlust. Ferien auf den Bauernhof sensibilisiert viele.
Ferien auf dem Lebenshof.
Ja aber die Frage ist relevant für die Zoofrage. Exotische Tiere würden verschwinden.
Aber worin liegt der Wert, dass wir einen Löwen im Zoo sehen? Warum sollten wir das haben müssen?
Wenn ich das früher nie gesehen hätte, hätte ich das Buch nie geschrieben. Meine Sensibilisierung für Tiere ist über die Zoos gegangen.
Aber ist das jetzt nicht ein Fehlschluss, wenn sie sagen, weil es bei mir so war, sollten wir die Zoos erhalten?
Ich würde sagen, weil es bei mir so war, sehe ich das Potential, das es auch bei vielen anderen so sein kann. Das glaube ich zumindest. Aber natürlich, ein Zoo, wo einem die Tiere leidtun, erfüllt die Funktion nicht. Aber ich könnte mir Zoos vorstellen, die diese Funktion erfüllen.
Wenn unsere Leserinnen und Leser, die ja hauptsächlich schon vegan sind, jemanden in der Familie oder im Umfeld haben, der noch Fleisch kauft. Was würden Sie den Leuten empfehlen, wie man an dieses Problem herangeht?
Ein gutes Buch schenken, zum Beispiel. Keine Werbung, das meine ich ernsthaft. Oder, wenn man ganz perfide ist und jemanden kennt, der jemanden kennt, dann eine Legebatterie besichtigen.
Waren sie schon mal in einer Legebatterie?
Ja das war in den 90ern. Also lange her.
Würden Sie heute noch in eine Mastanlage gehen, wenn man es ihnen anbieten würde.
Ja würde ich.
Eine letzte Frage: Leben sie schon vegan, wenn nicht wann dann?
Ich kenne mich selber nicht gut genug, um diese Frage beantworten zu können aber ich wünsche Ihnen und ihrer Bewegung alles Gute.