
Wie die Forscher um Leslie Vosshall vom Howard Hughes Medical Institute (HHMI) aktuell im Fachjournal „Science“ (DOI: 10.1126/science.1249168) berichten, wurde seit den 1920er Jahren sowohl in wissenschaftlicher Fachliteratur als auch in populärwissenschaftlichen Magazinen immer wieder die Anzahl von rund 10.000 Gerüchen wiederholt, die wir Menschen angeblich voneinander unterscheiden können. „Das war die allgemein akzeptierte Anzahl“, so Vosshall. „Unsere Analyse zeigt nun aber, dass die menschliche Fähigkeit, Gerüche voneinander zu unterscheiden, deutlich größer ist als man sich das bislang vorstellen konnte. (…) Wir hoffen, mit unserer Veröffentlichung das Vorurteil beseitigen zu können, dass wir Menschen keine guten Riecher wären.“
Interessanterweise, so stellen die Forscher weiter fest, scheint es für die jahrzehntelang kolportierte Angabe von 10.000 von uns Menschen unterscheidbaren Gerüchen, keinerlei stützende Datengrundlagen zu geben: „Eigentlich hätte jeder wissen müssen, dass die Zahl 10.000 falsch sein muss“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Es macht einfach keinen Sinn, dass wir Menschen beispielsweise so viel weniger Gerüche als Farben wahrnehmen können.“ Die Forscherin führt weiter aus, dass alleine die drei bekannten Arten von Lichtrezeptoren im Auge zusammengenommen bis zu 10 Millionen Farben wahrnehmen. „Im Vergleich dazu hat eine Durchschnittsnase 400 geruchsempfindliche Rezeptoren.“
Bislang habe einfach niemand die menschliche Geruchsfähigkeit untersucht. „Wir kennen ziemlich genau die Bandbreite der Frequenzen, die Menschen hören können. Das liegt aber nicht daran, dass sich irgendjemand mal diese Werte ausgedacht hat, sondern daran, dass man dies genau untersucht und getestet hat. Was aber unseren Geruchssinn anbetrifft, so hat sich noch nie jemand die Zeit genommen, diesen genau zu testen.“
Das Problem, vor dem die Forscher zunächst standen, war jedoch der Umstand, dass man natürlich nicht die Reaktionen von Menschen auf jeden einzelnen von 10.000 Gerüchen und mehr testen kann. Eine genaue Angabe ist also nicht wirklich möglich. Aber die Wissenschaftler waren sich sicher, eine wesentlich genauere Schätzung liefern zu können.
In ihren Tests nutzen die Forscher deshalb 128 Geruchsmoleküle, um verschiedene, komplexe Gerüche zu erzeugen und überprüften dann, ob die Probanden in der Lage waren, diese Gerüche voneinander zu unterscheiden.
Die Sammlung beinhaltete Moleküle, die alleine genommen zwar Assoziationen wie etwa zu Gras, Zitrus oder unterschiedlichen Chemikalien hervorrufen, die jedoch in zufälligen Kombinationen von 10, 20 oder 30 Molekülen, größtenteils gänzlich unbekannt sind. „Wir wollten, dass diese Gerüche nicht eindeutig erkennbar waren. Aus diesem Grund waren die meisten Gerüche auch ziemlich ekelig und sonderbar“, erläutert Vosshall. „Wir wollten, dass die Probanden sich darauf konzentrierten, einen wirklich komplexen Geruch von einem anderen komplexen Geruch zu unterscheiden.“
Aus dem Gesamtanzahl der durch die Kombination der 128 Duftmoleküle herstellbaren Gerüche und den Testergebnissen der Probanden extrapolierten die Wissenschaftler dann die geschätzte Gesamtanzahl jener Gerüche, die eine normale Person wohl voneinander unterscheiden könnte, wenn sie mit allen möglichen Geruchskombinationen konfrontiert werden würde.
„Das ist in etwa so wie eine Volkszählung“, erklärt die Forscherin. „Um die Anzahl der Menschen zu erfassen, die in den USA leben, klopft man nicht an jede Haustür und zählt einzeln nach. Man nimmt eine Stichprobe und extrapoliert. (…) Auch in unserer Studie haben wir sozusagen an einige wenige Türen geklopft.“
Auf diese Weise kommen die Forscher bei ihrer Schätzung anhand einer durchschnittlichen Person auf mindestens eine Billion unterschiedliche Düfte. „Ich denke, jeder ist überrascht, wie absurd hoch selbst diese noch sehr konservative Schätzung ist“, so Vosshall. „Tatsächlich gibt es aber natürlich noch sehr viel mehr Gerüche als die von uns getesteten 128. Die tatsächlich Zahl jener Gerüche, die ein normaler Mensch also riechen kann, ist noch wesentlich höher.“
Allerdings bezweifeln die Forscher um Vosshall abschließend, dass ein Mensch im normalen Alltag je mit einer Billion Gerüchen konfrontiert wird. „Ich denke aber, dass es unglaublich nützlich ist, diese Fähigkeit zu besitzen, da sich die Welt um uns herum ständig verändert. Pflanzen entwickeln beispielsweise fortwährend neuen Düfte – Parfümhersteller ebenso. Wenn wir in einen Teil der Welt reisen, in dem wir zuvor noch nie waren und dort etwa den einheimischen Früchten und Pflanzen begegnen, so ist zumindest unsere Nase mit ihrem derart komplexen sensorischen System gut darauf vorbereitet.“
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Quelle: hhmi.org