Warum ein Wirtschaftsaufschwung in den USA unmöglich ist – Kopp Online


Würde die Wirtschaftsstatistik der US-Regierung nicht frisiert, sondern ehrlich berechnet und berichtet, so würden die Zahlen zeigen, was die meisten Amerikaner längst wissen: Von einer »Erholung« nach der Immobilienkrise von 2007/2008 und der offiziell verkündeten Rezession ist die US-Wirtschaft heute, acht Jahre nach Beginn der schlimmsten Finanzkatastrophe der Geschichte, weit entfernt. Darüber habe ich bereits früher berichtet. Vielmehr droht den USA eine neue tiefe Wirtschaftskrise wie in den 1930er Jahren oder wie in England in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts.

Dass ein echter Aufschwung unter gegenwärtigen Bedingungen unmöglich ist, liegt in der Politik von Kongress, Weißem Haus und Federal Reserve begründet, die die obersten zehn Prozent reicher gemacht hat, während die übrigen 90 Prozent Einkommenseinbußen und den Verlust des Wertes ihres wertvollsten Besitzes – des Eigenheims – hinnehmen müssen. Der Beweis ist einfach zu erbringen: Bei den Verbraucherausgaben, die 70 Prozent der Berechnungsgrundlage des BIP ausmachen, ist kein Anstieg auszumachen.

Zum Zweiten zögert die Federal Reserve, die zuvor von »notleidenden« Wall-Street-Banken und anderen in die Klemme geratenen Finanzinstituten Schulden in Milliardenhöhe aufgekauft hat, noch immer, die Zinsen wieder über Null anzuheben.

Die Federal Reserve blufft die Märkte, hat es aber in Wirklichkeit bisher nicht gewagt, den Zinssatz seit Beginn der Quantitativen Lockerung (QE, nach dem englischen »Quantitative Easing«) im November 2008 zu erhöhen. Bei der QE kaufte sie »Giftmüll«, nämlich durch Hypotheken gesicherte Wertpapiere, im Wert von Milliarden Dollar von de facto bankrotten Banken, die als »zu groß, um bankrott zu gehen« galten. 2010 war die Fedzu einer zweiten Runde Quantitativer Lockerung, dem so genannten QE2, gezwungen. Bis Oktober 2014, als eine Pause angekündigt wurde, hatte die Fed schwindelerregende 4,5 Billionen Dollar an immobilienbezogenen und sonstigen Vermögenswerten von den Banken übernommen.

Dabei nutzten die Wall-Street-Banken, die Schuldigen in dieser Seifenoper, das Geld, das sie von der Fed für ihre wertlosen Vermögenswerte erhalten hatten, nicht etwa für Investitionen in neue Firmen oder realwirtschaftliche Großprojekte. Vielmehr schufen sie damit eine neue Blase, dieses Mal konzentriert an den Aktienmärkten. Der Wall-Street-S&P-Index gehandelter Aktien ist seit Februar 2009 um sage und schreibe 300 Prozent gestiegen. Alles deutet darauf hin, dass hier eine Blase kurz vor dem Platzen steht. Und die künstlich niedrig gehaltenen Zinsen für staatliche Anleihen durch das QE der Fed wirken sich negativ auf die Finanzierung der Pensionsfonds aus.

Pensionsfonds sind verpflichtet, hauptsächlich in sichere Anleihen, nicht in Aktien zu investieren. Wenn Anleihen so lange Zeit keine Zinsen einbringen, können verschiedene staatliche Pensionsfonds ihren zukünftigen Verpflichtungen nicht nachkommen. Eine verhängnisvolle Entwicklung, über die jedoch kaum jemand redet. Bei einer Studie über Pensionsfonds wurde kürzlich für das staatliche Rentensystem eine Unterfinanzierung von insgesamt 4,7 Billionen Dollar errechnet. So etwas könnte man eine tickende Neutronenbombe nennen. Tick, tick, tick, tick…

Einer der Beweggründe für die kürzlich erklärte Zahlungsunfähigkeit der Stadt Detroit war, dass sie sich auf diese Weise von einem großen Teil der zukünftigen Rentenverpflichtungen befreien konnte. Für Polizisten, Feuerwehrleute und andere städtische Angestellte würde das empfindliche Einbußen bei ihren Ruhegeldern bedeuten. Weniger Geld flösse in den Konsum, und weniger Konsum heißt weniger Wirtschaftswachstum für die USA.

Die Mittelschicht verschwindet

Zum Zweck der Berechnung wird die »Mittelschicht« definiert als die 60 Prozent der amerikanischen Familien mit mittlerem Einkommen, zwischen den unteren und den oberen 20 Prozent. Anders gesagt: als der Kern dessen, was einmal eine gesunde stabile amerikanische Bevölkerung war, die Häuser kaufte, fürs College der Kinder und die eigene Rente sparte und jedes Jahr in den Urlaub fuhr.

Die Struktur der Altersvorsorge amerikanischer Privatunternehmen wurde in den 1980er Jahren grundlegend verändert. Anstatt Verträge mit ihren Angestellten zu schließen, bei denen sich eine Firma, sagen wir General Motors, verpflichtete, einen bestimmten monatlichen Betrag, vielleicht 60 Prozent des letzten Einkommens eines Angestellten, an lebenslanger Rente zu bezahlen, wurden denen jetzt »Defined contribution«- (»Definierte Beitrags«-)-Renten angeboten, am häufigsten ist das die private Rentenvorsorge 401(k).

Im Regelfall erklärt sich ein Unternehmen heute bereit, die Hälfte einer bestimmten Jahressumme in eine 401(k) für den Angestellten einzuzahlen, der denselben Betrag aufbringen muss. Das Unternehmen hat einen Vertrag mit einem Investmentfonds, beispielsweise Vanguard oder Fidelity Funds. Als die Einkommen der so genannten Babyboomer, meiner Generation, in den 1980er bis späten 1990er Jahren, wenige Jahre vor dem Ruhestand, Spitzenwerte erreichten, zahlten sie vor allem in Fonds ein, die in Aktien oder Anleihen investierten. Im März 2000, als die seit 1997 aufgeblähte Dot.com-Blase platzte, und in den zwei Jahren danach verloren die gehandelten Aktien fünf Billionen Dollar an Wert.

An diesem Punkt senkte Alan Greenspan, der wahrscheinlich meistüberschätzte Vorsitzende der Federal Reserve seit der Weltwirtschaftskrise, bewusst den Zinssatz, unterstützte die Deregulierung der großen Wall-Street-Banken und gab den Startschuss für die größte aller Spekulationsblasen, die Immobilienblase von 2002 bis 2007. Greenspan nutzte seine große Glaubwürdigkeit beim Kongress für die Einführung völlig unbeaufsichtigter finanzieller Innovationen wie die durch Hypotheken gesicherten Wertpapiere. Die würden angeblich arme Amerikaner in die Lage versetzen, ein Haus zu kaufen und am »amerikanischen Traum« teilzuhaben. Wie vorherzusehen war, wurde dieser Traum zum Albtraum, als die Immobilienblase im März 2007 platzte. Diese Blase war die größte in der Geschichte, an den Folgen hat die US-Wirtschaft auch acht Jahre später noch zu tragen. Vom Höhepunkt im Dezember 2006 bis Anfang 2009 verloren Häuser 34 Prozent an Wert. Millionen Amerikaner steckten plötzlich finanziell in der Klemme und verzichteten auf alle nicht unbedingt nötigen Ausgaben. Und Millionen wurden arbeitslos, als keine weiteren Häuser mehr gebaut wurden.

Das Platzen der Immobilienblase nach 2007 ist aber nicht der einzige Grund dafür, dass Amerikaner nicht mehr »bis zum Umfallen kaufen«, wie sie es in den Jahren der Blase getan hatten. Eine neuere Studie der Washingtoner Denkfabrik Center for American Progress beschreibt im Detail den Niedergang der traditionellen amerikanischen Mittelschicht: Die Folge der »Krise von 2008 war die schwerste Rezession und der größte Vermögensverlust der Mittelklasse seit der Großen Depression«.

In dem Bericht heißt es: »Der durchschnittliche Haushalt verlor von 2005 bis 2011 31 Prozent seines Immobilienwerts und 13 Prozent aller mit Hypotheken belasteten Häuser sind noch immer unter Wasser – die Schulden der Besitzer sind rund 380 Milliarden Dollar höher als der Wert ihrer Häuser. Das ist der Preis für Alan Greenspans im Jahr 2000 gestartete ›Finanzrevolution‹.«

Für diejenigen, die noch einen Arbeitsplatz haben, sind die Aussichten auf eine ausreichende Rente düster. Laut dem Bericht hatten 31 Prozent der Beschäftigten nach eigenen Angaben 2013 nicht für den Ruhestand gespart und erwarteten keine Rente. Sie sind auf die mageren Leistungen der staatlichen Sozialversicherung angewiesen, in der Regel weniger als 1000 Dollar.

Für 2010 schätzt der Bericht die Rentenlücke der Beschäftigten – die Differenz zwischen dem voraussichtlichen Bedarf im Ruhestand und dem, was sie gegenwärtig haben – auf rund 6,6 Billionen Dollar. Verschlimmert wird die wirtschaftliche Misere in den USA durch den Rückgang des durchschnittlichen Realeinkommens der Mittelschicht von 2000 bis 2012. Sogar bei verheirateten Paaren mit zwei Kindern – Familien, die normalerweise über ein höheres Einkommen verfügen – stagnierte das Durchschnittseinkommen in dieser Zeit. Gleichzeitig stiegen die Kosten für Kinderbetreuung, Gesundheitsfürsorge und Wohnen in diesen zwölf Jahren um über 10 000 Dollar; ein wichtiger Faktor, warum keine Rücklagen für den Ruhestand gebildet wurden.

Aber nicht nur diese Faktoren machen eine echte wirtschaftliche Erholung aus der neuen »Großen Depression« – wenn das Wort noch erlaubt wäre – unmöglich. Der Ökonom John Williams, der hinter die politisch motivierte Glitzerfassade der Wirtschaftsdaten der US-Regierung schaut und seine sorgfältigen Analysen in seinem Newsletter Shadow Government Statistics publiziert, schätzt, dass die Arbeitslosigkeit im April nicht bei den vom Arbeitsministerium errechneten 5,4 Prozent, sondern eher bei 23 Prozent lag. Solche Werte gab es letztmals während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren. Das Arbeitsministerium »löscht« einfach alle, die die Hoffnung aufgegeben haben, jemals wieder einen Arbeitsplatz zu ergattern, aus der Berechnung und manipuliert auch sonst nach Kräften, um auf die 5,4 Prozent zu kommen.

Kurz: Die wirtschaftliche Realität in den USA ist so düster wie seit den 1930er Jahren nicht mehr. Diese Wahrheit kam auch in einem neuen OECD-Bericht über Einkommensunterschiede zwischen dem reichsten einen Prozent und der restlichen Bevölkerung zum Ausdruck. In den USA verdienten die obersten zehn Prozent 1900 Prozent mehr als die untersten zehn Prozent. Seit 2001 begünstigen die Steuergesetze diese obersten zehn Prozent auf Kosten aller anderen. Kein Wunder, dass ein Professor der Princeton Universitykürzlich zu dem Schluss kam, gemessen daran, welche Gruppe am meisten von der Gesetzgebung des Kongresses profitiert, sei Amerika zu einer Oligarchie geworden, in der die Superreichen die Politik zu ihren Gunsten beherrschen.

Das alles hat auch beängstigende geopolitische Auswirkungen für die Welt. Das Amerikanische Jahrhundert ist um den 15. August 1971 herum untergegangen, auch wenn es niemand wahrhaben wollte. Wir entschieden uns für die Hypnose der amerikanischen Unbezwingbarkeit. Und genau diese Hypnose wird bald einem Realitätsschock weichen.

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