Nachbau der „Captain America“ aus dem Kultfilm „Easy Rider“ im Harley-Museum Milwaukee.
Die Rockerszene in Sachsen – sie ist bunt und vielfältig, aber auch verschlossen und voller Rätsel. In unserer neuen Serie wollen wir einen Einblick in eine faszinierende, teilweise auch verstörende Subkultur geben – unverstellt, ungeschönt und jenseits üblicher Klischees. Rockerclubs haben uns ihre Türen geöffnet, Polizisten ihre Akten, ein Philosoph seine Gedankenwelt.
Von Jens Fuge
Leipzig – Warum werden Männer zum Kind, wenn sie vor einem böse vor sich hin grummelnden Zweirad stehen? Wieso verlieren beherrschte Charaktere Worte und Weitsicht, wenn sie über ihre Leidenschaft wie eine Sucht sprechen? Und warum verwandeln sich erwachsene Menschen in wandelnde Werbeflächen für Produkte einer US-Maschinenfabrik?
Die Antwort ist ein Statement: Harley-Davidson.
Keine andere Industriemarke der westlichen Hemisphäre ist emotional so aufgeladen wie der amerikanische Motorradhersteller. Vor 112 Jahren gegründet, dienen die Fahrzeuge den gleichgeschalteten Großstädtern von heute als kurzfristige Fluchtmöglichkeit vom immer gleichen Alltag.
Einige wenige Rebellen, organisiert in Motorradclubs, verbringen ihr ganzes Leben auf den Kultmotorrädern. Egal wie – Harley ist zum Lebensstil, zum Lebensgefühl geworden und beeinflusst ganze Generationen. Egal, wen man fragt: Es fallen immer wieder die gleichen Begriffe: Freiheit, das Auspuffgeräusch, die klassische Form, der Name.
Die Wirklichkeit hat wohl viel mit Marketing und der Empfänglichkeit der Menschen zu tun. Die Eroberung des Wilden Westens durch coole Cowboys lieferte die Vorlage, heute reiten die Großstadt-Teilzeitrocker auf den teuren Harleys mit Saisonkennzeichen bis zur Eisdiele und zurück.
Echte Rarität: Eine Electra-Glide mit tausenden Lampen und Lichtern.
Die Oldschooler verweisen gern auf das unvergleichliche Stampfen und Vibrieren des V-Twins im Starrahmen, wie er noch vor etlichen Jahren fuhr. Seither ist viel passiert und die Amis haben viel moderne Technik in das zeitlose Design der Motorräder eingebaut: Navi und Touchscreen-Flats, ABS und Wasserkühlung. Und so ist die Harleyszene denn auch zweigeteilt in die „neureichen Yuppies“, wie es mal ein Szenekenner ausdrückte, und in die wahrhaften Motorradfahrer, denen Putzen und flimmern ebenso fremd ist wie die Eisdiele um die Ecke.
WER SIND DIE HOGS?
Die HOG (Harley Owners Group) ist ein Marketinginstrument der Harley-Davidson Company. Sie ist clubähnlich aufgebaut, hat auch Officer, doch letztlich entscheidet der Harleyhändler über alles. Es gibt deutliche Unterschiede innerhalb der HOG, vom ernstzunehmenden Bikerclub (mit MF gleichzusetzen) bis hin zu Gruppen mit aufgesetzter Bikerattitüde.
Das HOG-System ist überholt. Derzeit etwa 70 „offiziellen“ Chaptern stehen in Deutschland mittlerweile über 50 inoffizielle, im Streit von der HOG geschiedene Chapter gegenüber. In Leipzig gibt es zwei „inoffizielle“: First Sachsen Chapter und Leipzig Chapter. Letztere sind mittlerweile ein MF.
MOPO-Autor Jens Fuge vor dem Harley-Museum in Milwaukee(l.). Von jedem jemals gebauten Modell findet sich hier ein Exemplar (r.).