Ukraine-Konflikt: Der Westen eskaliert


“(…) Ich denke, der Westen muss die Initiative ergreifen. Und der Westen muss erklären, dass er nicht länger versuchen wird, die Ukraine in ein westliches Bollwerk zu verwandeln, sondern in einen neutralen Pufferstaat mit Russland auf der einen und dem Westen auf der anderen Seite. Das bedeutet, die NATO-Erweiterung muss vom Tisch, die EU-Erweiterung muss vom Tisch, und Schluss mit der Demokratieförderung, wenn diese darauf abzielt, dass pro-westliche Führer in Kiew die Kontrolle übernehmen.“

Professor John J. Mearsheimer lehrt Politikwissenschaften an der University of Chicago

Für das Transkript des Interviews bitte auf „mehr“ klicken.

Weltnetz.TV: Mr. Mearsheimer, im Westen gilt es als gesicherte Erkenntnis, Russlands aggressive Haltung sei maßgeblich an der Ukraine-Krise schuld. In Ihrem Artikel in der US-Zeitschrift Foreign Affairs benennen Sie aber die USA und ihre europäischen Verbündeten als Hauptschuldige. Warum?

John Mearsheimer: Meiner Ansicht nach liefern die Beweise keinen Anlass zur Annahme, dass Putin diese Krise angefangen hat. Hauptursache der Krise ist die Tatsache, dass der Westen die Ukraine aus Russlands Einflussgebiet herausschälen und dem Westen angliedern wollte. Das bedeutete: NATO-Osterweiterung und Einbindung der Ukraine, EU-Osterweiterung und Einbindung der Ukraine, und die Förderung der Demokratie in Kiew, was nichts anderes bedeutete, als prowestliche oder pro-amerikanische Führer in Kiew an die Macht zu bringen. Vom russischen Standpunkt aus ist das inakzeptabel. Die Ukraine ist ein Territorium von vitaler strategischer Bedeutung für Russland. Und Russland wird nicht zulassen, dass es Teil des Westens wird.

Weltnetz.TV: Ich komme noch auf diese Frage zurück. Wir haben gesehen, dass der Westen den Putsch in der Ukraine initiiert hat mit der Finanzierung pro-westlicher Persönlichkeiten und Organisationen. Welche Interessen verfolgen die USA mit der Unterstützung dieses Regime Change?

John Mearsheimer:  Es steht nicht fest, dass die Vereinigten Staaten den Putsch initiiert haben. Ich denke, sie haben ihn unterstützt. Wir haben derzeit nicht genug Beweise, um die Urheberschaft der USA aufzuzeigen. Und vermutlich werden wir das am Ende auch nicht können. Die USA haben versucht einen pro-westlichen und anti-russischen ukrainischen Führer an die Macht zu bringen. Und Janukowitsch, der vor dem Putsch Präsident war, war pro-russisch und dem Westen gegenüber nicht sehr freundlich. Der Westen wollte ihn sehnlichst loswerden und ein pro-westlicheres Regime installieren. Das ist genau das, was nach dem Putsch vom 22. Februar passiert ist,

Weltnetz.TV:  Welche Interessen sind durch das Agieren der NATO-Mächte bedroht?

John Mearsheimer: Russlands Interessen sind bedroht, weil es ein ureigenes Interesse daran hat, dass die Ukraine entweder neutral oder mit ihm verbündet ist. Die Russen können nicht hinnehmen, dass ihr unmittelbarer Nachbar zur NATO gehört. Genauso wenig würden die USA einen Nachbarn akzeptieren, der im Kalten Krieg mit der Sowjetunion verbündet war oder in einem künftigen Szenario verbündet wäre mit dem mächtigen China. Großmächte sind sehr wachsam gegenüber ihrer Nachbarschaft. Sie wollen keine Länder vor ihrer Haustür, die mit fernen Großmächten verbündet sind oder enge Freunde werden können.

Weltnetz.TV:  Was würde Ihrer Ansicht nach passieren, wenn die USA und die EU-Länder die Ukraine direkt militärisch unterstützen würden?

John Mearsheimer:  Wir reden hier von einer Bewaffnung der Ukrainer. Es gibt keine Diskussion über einen Kampfeinsatz der USA oder der Westeuropäer in der Ukraine. Wir reden von der Bewaffnung der Ukrainer. Wenn das geschieht wäre es eine Katastrophe, denn die Russen würden im Gegenzug eskalieren. Die Krise, der Krieg in der Ukraine würde angefacht werden und eskalieren, mehr Menschen würden sterben und die Beziehung zwischen dem Westen und Russland würde sich verschlimmern. Die Bewaffnung der Ukrainer würde eine schlechte Situation nicht verbessern, sondern verschlimmern.

Weltnetz.TV:  Inwiefern müssten die beteiligten Großmächte ihren politischen Kurs ändern, um die Krise zu beenden?

John Mearsheimer: Ich denke, der Westen muss die Initiative ergreifen. Und der Westen muss erklären, dass er nicht länger versuchen wird, die Ukraine in ein westliches Bollwerk zu verwandeln, sondern in einen neutralen Pufferstaat mit Russland auf der einen und dem Westen auf der anderen Seite. Das bedeutet, die NATO-Erweiterung muss vom Tisch, die EU-Erweiterung muss vom Tisch, und Schluss mit der Demokratieförderung, wenn diese darauf abzielt, dass pro-westliche Führer in Kiew die Kontrolle übernehmen.

Weltnetz.TV:  Mr. Mearsheimer, vielen Dank für dieses Gespräch!

John Mearsheimer: Gern geschehen

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